- Shreveport/Louisiana, USA | 13.09.2010 -
Wer hätte das gedacht? Vampire gibt es wirklich. So richtig mit Bluttrinken, blasser Haut und allem drum und dran. So, wie Bram Stoker es vor über einhundert Jahren schon beschrieben hat. Merkwürdig, aber wenn ich so darüber nachdenke... Vielleicht lag ich damals in Dublin doch nicht so falsch damit, als ich vermutete, dass ein Vampir hinter den Todesfällen im Arbieterviertel steckte.
Aber egal, das ist schließlich auch schonwieder einige Jahrzehnte her. Ich sollte mich besser auf die Gegenwart konzentrieren. Auf die Vampire, welche vor kurzem aus ihren Särgen gekrochen sind nur weil irgendein Pharmakonzern in Asien synthetisches Blut entwickelt hat. Und nun meinen diese Blutsauger, sie könnten die gleichen Rechte einfordern, wie die Menschen... Als ob sie wegen ein wenig künstlichem Blut keine Gefahr mehr darstellen. Wers glaubt.
Ich will das jedenfalls definitiv mit eigenen Augen sehen. Und ich will mehr über diese Kreaturen wissen. Werwölfen bin ich schon begegnet, damals in San Francisco vor zwei Jahren. Spätestens da hätte mir eigentlich dämmern sollen, dass das ja wohl schlecht die einzigen übernatürlichen Wesen auf unserem schönen Planeten sein können. Zumindest waren die Chancen dafür sehr gering. Nun also auch noch Vampire. Ich bin entzückt.
Gespannt gehe ich die letzten Schritte zur Eingangstür der Bar an der mich eine Frau um die 30 erwartet. Ziemlich tough sieht sie aus in ihrem Lack-Kostüm. Sexy und gefährlich. Und hey, dafür hätte sie noch nicht mal ihre langen Eckbeißerchen ausfahren müssen. Ich versuche unbefangen zu sein. Gelassen. Zeige ihr nach der Aufforderung meinen Führerschein und lasse ihren prüfenden Blick widerstandslos über meinen Körper gleiten. Sie betrachtet meine Jeansshorts, die Boots und das luftige Top, das mir ständig über eine Schulter rutscht. Letztendlich nickt sie und lässt mich durch. Hätte ich also doch meine geliebte Smith & Wesson mitnehmen können, denn auf Tuchfühlung ist sie gar nicht gegangen. Oder können Vampire etwa Gedanken lesen und sie hat gesehen, dass ich keine Gefahr bin? Bin ich tatsächlich keine Gefahr? Ich weiß es selbst noch nicht genau.
Heute will ich jedenfalls erstmal observieren. Ja, in der Höhle des Löwen sozusagen. Ich sehe mich um und entdecke viele Leute, die sich zu amüsieren scheinen. Menschen, soweit ich es beurteilen kann. Einige von diesen... Fangbangern, aber auch viele Touristen. Ich hoffe ich sehe nicht so aus, als ob ich zu einer dieser Kategorien gehöre und bahne mir einen Weg durch den Eingangsbereich, in welchem viel Merchandise verkauft wird. Einerseits erscheint mir diese Anbiederei der Vampire den Menschen gegenüber peinlich und lachhaft, aber andererseits gehören zu dem Spiel immer zwei und wenn die Touris sich so das Geld aus den Taschen ziehen lassen - bitteschön. Wer bin ich denn, daran etwas ändern zu wollen? Außerdem versuchen die Vampire dadurch ja auch nur Geld zu verdienen. Sich ein Geschäft aufzubauen, wie man an dieser Bar - dem Fangtasia - ja sehr gut erkennen kann. Sie wollen sich offenbar tatsächlich anpassen. Gut.
Ich bestelle mir erst einmal ein Bier und scanne den Raum. Einige Tanzstangen mit hübschen Mädels, die sich drumherumschlingen. Allerdings angezogen - das habe ich in Europa schon ganz anders gesehen. Der Gedanke huscht durch meinen Kopf, was die Leute hier wohl dazu sagen würden, wenn die Mädels splitterfasernackt an den Stangen tanzen würden. Immerhin sind wir hier im amerikanischen Süden. Aber egal, ich konzentriere mich auf mein Ziel: Mir einen Eindruck von den Vampiren zu machen. Einer von ihnen sitzt auf dem vorderen Podest, das zu klein ist um als richtige Bühne durchzugehen. Er thront da, wie ein König. Hinter seinem Sessel mit einer Hand auf der Lehne steht eine Vampirin. Sie ist der Frau am Eingang nicht unähnlich und muss zum Zeitpunkt ihrer... Verwandlung?... wohl auch so Ende 20/Mitte 30 gewesen sein. Beide schauen sich ziemlich gelangweilt in ihrem kleinen Reich um. Ansonsten sehe ich hier gar nicht so viele von den Blutsaugern. Der Mann hinter der Bar ist einer und eine der Tänzerinnen. Das sehe ich daran, dass manche ihrer Bewegungen zu schnell für meine Augen sind. Ansonsten... Bei der heutigen Mode ist es schwer zu sagen, wer einfach blass geschminkt ist und bei wem dies der tatsächlichen Hautfarbe entspricht. Emos und Goths haben nochmal einen richtigen Boom erlebt, seit die Vampire an die Öffentlichkeit gegangen sind.
Mein Bier wird neben mir auf den Tresen gestellt, ich zahle und gehe mit der Flasche in der Hand zu einer der Nischen, lasse mich dort so auf den Stuhl nieder, dass ich alles weiter gut im Blick habe. Die Aufregung ist einer gesunden Neugier gewichen und der leicht beschleunigte Herzschlag liegt bestimmt nur an den pumpenden Bässen. Mein Blick gleitet durch den Raum und bleibt ein ums andere Mal an dem blonden, hühnenhaften Vampir auf dem 'Thron' hängen. Er hat eine gewisse Aura, das lässt sich nicht leugnen. Ich frage mich wie alt er ist und was Vampire so alles können. Sich in Tiere verwandeln? Fliegen? Gedanken lesen? Ich würde einiges dafür tun, das herauszufinden. Und wer weiß, vielleicht werde ich das ja in dieser Nacht noch erfahren, denn ER deutet in meine Richtung und seine Gehilfin macht sich mit einem Lächeln auf den Weg.
Sie durchquert den Raum so schnell, dass ich ihr nicht folgen kann und bleibt tatsächlich vor meinem Tisch stehen. Mir verschlägt es den Atem, denn sie war verdammt schnell hier. Ich nehme an, es macht ihr Spaß mich so zu sehen. Ganz genau kann ich es nicht sagen, denn ihre Augen erscheinen mir schlicht tot. Doch das täuscht, denn im nächsten Moment erkenne ich ein Funkeln darin, von dem ich nicht weiß, ob ich es mag. Sie lächelt leicht und beugt sich zu mir herab, so dass ich einen guten Blick auf ihr Dekolletee habe. "Mr. Northman würde sie gerne kennenlernen."
Ich brauche einen Moment, bis die Worte Sinn ergeben und frage verdutzt "Wer?" Ihr Kopf bewegt sich fast unmerklich in Richtung des großen blonden Vampirs. "Mr. Northman." Und dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Ich blinzele kurz, nehme einen Schluck von meinem Bier und erhebe mich. Northman - wie passend. Immerhin ist er blond und blickt kalt drein. Tja, schließlich wollte ich doch etwas über Vampire lernen. Und wer, wenn nicht er, kann mir da besser Auskunft geben?
- Fortsetzung folgt -